Das gute rohe Leben
Fast 90 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher geben laut einer aktuellen Umfrage an, dass sie ein gutes Leben haben. Gleichzeitig sagen 46 Prozent, dass sie pessimistisch in die Zukunft schauen. Nur 22 Prozent – noch einmal vier Prozentpunkte weniger als bei einer Umfrage vor zwei Monaten – sind hingegen optimistisch. Die Kompromiss-Koalition von ÖVP, SPÖ und NEOS kämpft sich engagiert durchs Gelände. Und die FPÖ bleibt mit rund 35 Prozent stabil auf ihrem All-Time High. Österreich im Sommer 2025, sechs Monate nach dem Blick in den blau-schwarzen Abgrund.
Ein Polizeieinsatz wie aus einer Netflix-Serie, Ziel war der Erinnerungs- und Gedenkort der Kärntner Slowenen, der Peršmanhof im Gemeindegebiet von Bad Eisenkappel. Alles deutet auf eine letztlich politische Aktion hin, der stellvertretende Landespolizeidirektor hat mit einem – wieder einmal denkwürdigen – ZIB2-Auftritt diese Deutung nahegelegt. Der Herausgeber der auch in Kärnten weit verbreiteten bürgerlich ausgerichteten Kleinen Zeitung hat es ganz offen geschrieben: Die Zündler sind wieder da und loten aus, ob die Lunte noch was hergibt. Die Affäre gehört aufgeklärt, aber sie darf nicht so groß werden, dass der Spuk von neuem beginnt. Für Hubert Patterer ist Antifa vor allem linksextrem, und sein Titel Abgrund und Aberwitz ist ein unschönes Beispiel von False Balance.
Die Bodenbereiter für den Peršmanhof
Die rohe Bürgerlichkeit ist selbst bei einem Top-Journalisten und feinen Schreiber wie Patterer angekommen. Der deutsche Soziologe Wilhelm Heitmeyer hat diesen Begriff geprägt, er spricht von einer durchrohten Gesellschaft. Der Publizist Robert Misik interpretiert das so: Die These lautet, dass viele Menschen schon vollgepumpt mit Aggression durch den Alltag gehen und das rauslassen, sobald ihnen irgendetwas gegen den Strich geht. In einem weiteren Text schreibt Misik mit Blick auf Donald Trump und dessen menschenverachtendes Vorgehen gegen nicht nur illegal aufhältige Einwanderer von der Erziehung zur Bestialität. So weit sind wir noch nicht, aber der Sprung dorthin ist kein großer.

Der Boden ist längst bereitet, die FPÖ und ihre Ermöglicher in der ÖVP haben ganze Arbeit geleistet. Der wegen Korruptionsvorwürfen aus der Politik gefallene Trump-Bewunderer Sebastian Kurz war 2017 ja dezidiert angetreten, um Politik mit FPÖ-Themen, aber mit Zukunftsfokus zu machen. Wir wissen, was daraus geworden ist. Heute macht Kurz seine Kontakte aus der Regierungszeit zu Geld und knüpft weiter an seinem politischen Netzwerk. Am Wochenende er war beim MCC Festival in Esztergom, eine Veranstaltung des regierungsnahen Mathias Corvinus Collegium, und postete ein Selfie mit dem illiberalen ungarischen Regierungschef Viktor Orbán und Peter Thiel, dem Milliardär, der die Demokratie am liebsten abschaffen würde. Kurz bezeichnet die beiden auf Instagram als alte Freunde.
Ein blauäugiger roter Kaiser-Enkel
Indessen stellt in Kärnten, wo die Causa Peršmanhof der Aufarbeitung harrt und nur die Freiheitlichen den Polizeieinsatz verteidigen, der wahrscheinliche neue Vorsitzende der Landes-SPÖ, Daniel Fellner, der FPÖ eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus. Fellner sagt im Interview mit der Tageszeitung Die Presse folgendes: Ich glaube, dass auch die FPÖ in vielen Ansätzen ein Partner ist, mit dem man zusammenarbeiten kann. Ich glaube, bei ihren Aussagen ist viel Show dabei, um Stimmen zu maximieren. Aber bei Herbert Kickl in seiner Funktion als Innenminister hat man gesehen, dass er weiß, wo die Grenzen für einen Mitgliedstaat der Europäischen Union sind. Mit der AfD – es passt kein Blatt Papier zwischen diese Parteien – seien die Freiheitlichen nicht vergleichbar, sagt Fellner. Schemenhaft steigt im Geiste das Bild eines weiteren blauen Landeshauptmanns auf, die Kärntner kennen das.
Die Anheizer der Abstiegsängste
Vor diesem politischen Hintergrund vergessen die Österreicherinnen und Österreicher auf ihr gutes Leben. Abstiegsängste, die gefühlte Bedrohung durch den gesellschaftlichen und technologischen Wandel, fehlende soziale Anerkennung – all das überlagert das Faktum, dass wir in einem der reichsten Länder der Welt mit weithin gut funktionierenden Strukturen und sozialen Systemen leben. Österreich ist da kein soziologischer Einzelfall, diese Entwicklung ist in vielen Ländern zu beobachten. Social Media spielt dabei eine zentrale Rolle, aber bei uns kommen traditionelle Medien als verhärtender Faktor dazu. Von der reichweitenstarken Kronenzeitung über die Krawall-Gratisblätter bis zum exxpress, der für seine armselige Performance jetzt auch noch Qualitäts-Journalismusförderung bekommt: Sie alle tragen ihren Teil zur Verdunkelung des nationalen Gemüts bei. Die Krone seit Jahrzehnten.
Die dunkle Seite der medialen Macht
Aktuell macht die Kronenzeitung wieder einmal das, was sie am besten kann: eine Kampagne, diesmal gegen das Feindbild NGOs. Der ausgezeichnete Medien-Watchblog Kobuk zeigt schonungslos auf, mit welchen fragwürdigen Methoden das Dichand-Blatt Stimmungsmache gegen zivilgesellschaftliche Organisationen betreibt und versucht, diese zu delegitimieren. Ein Lehrstück in Kampagnen-Journalismus, titelt Autorin Andrea Gutschi. Und die Krone lobt sich auch noch selbst dafür, Zitat: Die Krone ist Vorreiter, was erfolgreiche Kampagnen betrifft. Die FPÖ, der die NGOs auch ein Dorn im Auge sind, darf dabei wie weiland unter Heinz-Christian Strache und Richard Schmitt mit der Boulevard-Zeitung Ping-Pong spielen: Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen. So Schmitt im legendären Fleisch-Interview. Leuten wie Orbán & Trump gefällt das.

Und rechts verschwimmen alle Grenzen
Oder auch Alice Weidel. Die AfD-Chefin war am Wochenende ebenfalls in Esztergom und hat wie Sebastian Kurz die Gastfreundschaft des ungarischen Premiers genossen. Die Grenzen zwischen rechtsextrem, rechtsaußen und einfach rechts sind inzwischen komplett verschwommen. Eines haben die Exponenten jedenfalls gemeinsam: Ganz im Stil von Orbán wollen sie die Medien unter ihre Kontrolle bringen: Die FPÖ tut das mit ihren eigenen Kanälen und der Hofierung des rechtsextremen Online-Kanals AUF1, wo auch Frau Weidel schon gemeinsam mit FPÖ-Chef Herbert Kickl aufgetreten ist. Sebastian Kurz und seine Leute haben wiederum beste Kontakte zum rechtspopulistischen Web-Portal Nius, dessen Chefredakteur der berüchtigte frühere Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ist.
Finanziert wird die Krawall-Seite, die im Vorjahr eine haltlose, lebensbedrohliche Kampagne gegen die Journalistin Alexandra Föderl-Schmid gefahren ist, vom deutschen Multimillionär Frank Gotthardt, dem mittlerweile auch 75 Prozent vom exxpress gehören – sein Ableger in Österreich. Gekauft, um im Chor mit Boulevard und Social Media zu brüllen: Es gibt kein gutes Leben in dem schlechten, das wir euch zeigen. Von Tag zu Tag und von Klick zu Klick. Die Bundesregierung hält tapfer und unaufgeregt dagegen, aber sie überzeugt nicht.
6 Gedanken zu „Das gute rohe Leben“
Einr. wirklich ausgezeichnete Analyse!
Danke!
Vielen Dank!
So ist es; danke für die Analyse !
Bürgerliche verharmlosen rechts und kopieren es. Bewundern Milliardäre wie Thiel und Gotthardt. Und bürgerliche Journalisten sehen nur links als Gefahr, auf dem rechten Auge sind sie blind .
#respect
thx!