Die im Seitenspiegel
Objects in the mirror are closer than they appear. Ein in den USA üblicher Warnhinweis auf Seitenspiegeln, der im Kinohit Jurassic Park mit feiner Ironie in Szene gesetzt worden ist. Dort taucht ein Tyrannosaurier im Rückspiegel jenes Wagens auf, den er verfolgt. Wir hier durften jetzt auch in einen Seitenspiegel schauen: in den eines Pkw, der in Wien-Favoriten in einen Vorfall mit einem syrischen Asylwerber verwickelt war. Der sichtlich verzweifelte Mann hatte sich gegen das Auto und vor eine Straßenbahn geworfen. Er wollte sich umbringen. Im Netz machte sich Hass breit. Das Mitleid galt dem kaputten Seitenspiegel.
Die Kronenzeitung & ein fassungsloser Heinz Christian Strache teilten die Bilder, die Passanten mit ihren Handys gemacht und ins Netz gestellt hatten. Und der Hass nahm seinen Lauf. Die ärgsten Kommentare, die dem Syrer den Tod wünschten, waren über Stunden auf der Strache-Seite zu lesen. Gelöscht wurden dafür Beiträge wie jener von Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner, der dagegengehalten und auf Facebook unter anderem geschrieben hatte: Was ist los? Woher kommt all euer Hass? Warum schreiben Menschen über einen anderen Menschen, den sie nicht einmal persönlich kennen, solche Dinge. Der Mann ist krank. Euer Hass ist es auch.
Schwertner hatte auch schon einmal seine Krone-Schlagzeile, dass er seinerseits Facebook-User beleidige. So schnell geht das, wenn man zu oft und zu lange in den Seitenspiegel schaut. Die Dinge sind schon viel größer, als sie scheinen.
Die Symbiose von Krone und blauem Kanal
Denn das, was mit dem syrischen Asylwerber im Internet geschehen ist, das steht auch für die kalkulierte Zusammenarbeit eines alten Players mit einem neuen. Und sie sind beide auf ihre Weise Giganten auf dem Markt der Meinungsmache: die Kronenzeitung, die laut aktueller Mediaanalyse im Schnitt von 2,3 Millionen Österreichern gelesen wird, und die FPÖ mit der Strache-Facebook-Seite, die aktuell schon 422.000 Fans hat und eine weit höhere Reichweite. Richard Schmitt, Chefredakteur der Online-Krone, hat in einem Interview die Symbiose beschrieben: Wenn Strache einen normalen Bericht von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen.
Anpatzen & Verstecken: Strache vs. Duzdar
Was passiert, wenn die Kronenzeitung einen abnormalen Bericht bringt, den Strache dann teilt, das haben wir gerade erlebt. Der FPÖ-Obmann versteckt sich dann übrigens gern hinter den Boulevardblättern: So hat SPÖ-Staatssekretärin Muna Duzdar Strache geklagt und bereits in zwei Instanzen Recht bekommen, weil Strache eine Unwahrheit aus dem Gratisblatt Österreich über sie verbreitet hatte. Die Verteidigungslinie war: Strache habe ja keine eigenen Vorwürfe erhoben, sondern nur auf Medienberichte Bezug genommen. Das macht er oft und gern, meistens mit dem lapidaren Zusatz: Zur Info! Auch in seinem umstrittenen Posting zum Grazer Amokfahrer hat sich Strache letztlich auf Spekulationen der Kronenzeitung ausgeredet.
Die Frage der Verantwortung für Hasspostings
Vielleicht geht das ja künftig nicht mehr so leicht. Gegen Duzdar hat Strache zweimal den Kürzeren gezogen, jetzt geht er in Revision, und der Oberste Gerichtshof wird entscheiden. Längst läuft auch eine Diskussion, warum sich die Staatsanwaltschaft nicht mit den vielen Gewaltaufrufen in den Postings auf der Strache-Facebook-Seite beschäftigt. Manche fragen sich, welchen Anteil Strache selber rechtlich daran hat. Politisch trägt der FPÖ-Obmann jedenfalls die volle Verantwortung für das, was da immer deutlicher und näher im Seitenspiegel zu sehen ist.
Beängstigend schöne freiheitliche Facebook-Welt
Denn für Strache und seinen Präsidentschaftskandidaten Norbert Gerwald Hofer ist Facebook der Dreh- und Angelpunkt für ihre politische Strategie. Diesen Echoraum lässt man sich bewusst nicht durch kritische Kommentare verunstalten. Während Strache alles postet, was er am Boulevard zur Stimmungsmache gegen Asylwerber und allgemeinen Angstmache finden kann, gibt Hofer im wackeligen Handy-Video auf einer Autofahrt den Staatsmann. Gerade habe er die Mitteilung erhalten, dass Bundeskanzler Kern bekanntgegeben habe, dass die Bundesregierung CETA unterzeichnen werde, so Hofer in dem Video. Kein Wort davon, dass die Schiedsverfahren noch vom Parlament zu ratifizieren sind – Hofer tut vielmehr so, als sei die Chance darauf vergeben worden.
Die bisschen eigenartigen Hofer-Versprechen
Und Hofer sagt dann wörtlich: Aufgrund dieser Situation habe ich versprochen, dass ich die Entscheidung über CETA und über TTIP nicht einfach alleine treffen werde, sondern dass ich die Bürger fragen werde, dass es eine direktdemokratische Entscheidung geben wird. Ansonsten gibt es von mir keine Unterschrift. Das Video ist allein auf der Hofer-Seite fast 100.000 Mal aufgerufen worden, mit einem Versprechen, das in mehreren Punkten nicht haltbar ist: Weder könnte Hofer, sollte er Bundespräsident werden, die Entscheidung über CETA allein treffen, noch könnte er die Bürger fragen – und das mit der Unterschrift ist auch so eine Sache. Verweigern könnte er die Vollmacht zur Unterzeichnung von CETA, aber die soll schon Ende Oktober stattfinden – da ist Hofer sicher nicht Bundespräsident. Und TTIP – das ist tot.
Kern erklärt sich & Kurz profiliert sich erfolgreich
Hofers Videobotschaft ist vom Irreführungsgehalt kaum noch zu toppen. Vielleicht von diesem Satz: Das SPÖ-Präsidium hat festgelegt, die Regierung zur Unterfertigung des CETA-Vertrags zu ermächtigen. Das ist ziemlich hochtrabend, vor allem nach dem Eiertanz, den die Sozialdemokraten zuvor aufgeführt haben. SPÖ-Chef Bundeskanzler Christian Kern nützt Facebook aber wenigstens, um mit offenen Worten zu erklären, warum dieser Eiertanz aus seiner Sicht notwendig war. Das muss man anerkennen. Sebastian Kurz nützt Facebook zur Stärkung der Marke Sebastian Kurz – so ist er halt, und er ist mit mehr als 323.000 Fans ziemlich erfolgreich.
Kern und Kurz wissen, dass man dem Grauen beim Blick in den Seitenspiegel etwas entgegensetzen muss. Denn: Objects in the mirror are closer than they appear.