Hüfthoch
Einer der skurrilsten Momente im Kanzlerduell der deutschen TV-Sender war dieser: Gefragt, ob man an jenem Sonntag in der Kirche gewesen sei, sagte SPD-Chef Martin Schulz, ja doch, er habe eine Kapelle auf einem Friedhof besucht. Worauf CDU-Chefin Angela Merkel konterte: Sie habe in einer Kirche verweilt, die ihr verstorbener Vater, der Pastor, aufgebaut habe. Das kannst du schwer toppen. Außer mit Ösi-Wahlkampf, denn der ist richtig tief. Gerade mal hüfthoch wie die Mauer, die keiner haben und sehen wollte. Auftraggeber: das rote Kanzleramt. They will pay for it. Baustopp hin oder her. Und es wird noch skurriler.
Jeden Tag sind sie auf dem Weg ins Büro an den tiefen Baugruben vorbeigekommen, aber keiner hat sich was dabei gedacht. Der Kanzler hat den Bauarbeitern was zum Trinken gebracht, als es so heiß war, aber er hat nicht gefragt, warum da wochenlang gegraben wird. Es war kein Geheimnis, die Tiroler Tageszeitung hat schon im Februar über einen möglichen Mauerbau berichtet. Jetzt im Wahlkampf sind die Kronenzeitung und der Rest vom Boulevard auf die Story aufgesprungen. Bonzenlimes! Skandal! Der Kniefall des Hausherrn Christian Kern ließ nicht lange auf sich warten. Die Geschichte ist aber danach mit der Mauerweglegung erst richtig hüfthoch geworden. Denn jetzt versteht wirklich niemand mehr, was die in Wien da so treiben.
Dieser verflixte Tal Silberstein
Hängen bleibt es an der SPÖ. Und nicht nur das. Das profil bringt aktuell Belege für rotes Negative Campaigning gegen Sebastian Kurz. Eine Werbeagentur hat im Auftrag der SPÖ Anti-Kurz-Videos produziert, die im Netz aufgetaucht sind, aber nur für den internen Gebrauch in Fokus-Gruppen gedacht gewesen seien. Parteigeschäftsführer Georg Niedermühlbichler gibt dem verflixten Tal Silberstein die Schuld und kritisiert die unbefugte Weitergabe überholter Konzepte, was die Sache aber auch nicht besser macht. Das pickt nämlich. Und das neue Hol-dir-was-dir-zusteht-Konzept will einfach nicht greifen. Trotz Plan A, trotz angesprungener Konjunktur und trotz einer an sich guten Stimmung in der Bevölkerung, die hier sehr gut beschrieben wird.
Diese verflixten Urlaubsvorwürfe
Die Sozialdemokraten wollten jetzt, wo die Wahlsendungen losgehen, mit ihrem Spitzenkandidaten Kern durchstarten. Dann kam das ORF-Sommergespräch mit den zum Teil falschen Urlaubsvorwürfen aus der ÖVP gegen den SPÖ-Vorsitzenden und gegen Moderator Tarek Leitner. Befangenheit steht im Raum. Und Leitner wird jetzt auch keine Konfrontationen moderieren, an denen Kern beteiligt ist. Inhaltlich ist von dem TV-Auftritt die Ansage geblieben, die SPÖ werde als Zweiter in Opposition gehen. Eine Karte, die man üblicherweise nicht schon sechs Wochen vor der Wahl ausspielt. Die man auch nicht gleich wieder aufweicht, was aber geschehen ist. Opposition ist Mist, tönte es aus dem rot-blauen Burgenland.
Die ziemlich weiche Oppositionsansage
Seit Christian Kern mit dem Wertekompass die Tür zur FPÖ zumindest theoretisch aufgemacht hat, muss er sich mit Spekulationen über Rot-Blau herumschlagen. Da kann er sich von Heinz-Christian Strache noch so klar abgrenzen – wie zuletzt in der Klartext-Diskussion auf Ö1. Aber die weiche Oppositionsansage (wenn wir Zweite werden, dann macht Kurz Schwarz-Blau und uns bleibt eh nur die Opposition) statt dem klaren Bekenntnis zum Machtverzicht im Falle des Scheiterns ließ dieses heiße Eisen rasch wieder erkalten. Allzu durchsichtig reagierten Niessl und andere wie ÖGB-Chef Erich Foglar, der die Tür zu den Schalthebeln auch nur ungern zuschlagen würde.
Die große Angst vor dem Machtverlust
Doch zum Glück gibt es ja Hans Peter Doskozil, der als Vizekanzler-Reserve für alle Fälle gilt. Um eben Machtverlust zu verhindern. Die SPÖ war in der Zweiten Republik nie eine richtige Oppositionspartei, sondern höchstens eine an die Outlinie gestellte Regierungspartei, die darauf wartet, wieder ins Spiel zu kommen, zitiert Herbert Lackner in der Österreich-Ausgabe der deutschen Wochenzeitung Die Zeit ein Mitglied des SPÖ-Präsidiums. Treffender kann man das Selbstverständnis der Sozialdemokratie in dem Punkt nicht beschreiben. Und vor dem Hintergrund hat Doskozil am Rande des Treffens der Außen- und Verteidigungsminister der Europäischen Union in Tallinn dem Standard ein Doppelinterview mit Sebastian Kurz gegeben. Was für ein Signal.
Doskozils Paarlauf mit Hauptgegner Kurz
Inhaltlich nichts Neues, außer dass es in Tallinn eine formelle Zusage für die Teilnahme Österreichs an der ständigen strukturierten Kooperation in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik gegeben hat – so weit es der Neutralitätsstatus halt zulässt. Einer Verteidigungsunion hat Doskozil jedenfalls gleich eine Absage erteilt. Übrig bleibt ein Interview mit Symbolkraft, hat sich der SPÖ-Minister doch mit dem Hauptgegner seines Parteivorsitzenden Christian Kern im Duell um die Kanzlerschaft hingesetzt und einen medialen Paarlauf in amikaler Atmosphäre hingelegt. Kern hat Kurz am Tag davor beim offiziellen Wahlkampfauftakt der SPÖ in Graz ausgesprochen scharf attackiert.
Flankenschützer und Vizekanzler-Reserve
Natürlich spielt Doskozil eine wichtige Rolle für die Sozialdemokraten. Er deckt die rechte Flanke ab, damit nicht noch mehr SPÖ-Wähler zu den Freiheitlichen abwandern. Das Doppelinterview mit Kurz hat aber etwas ganz anderes signalisiert: Es hat nach all den Pannen in der SPÖ-Kampagne den Eindruck verstärkt, hier habe sich jemand mit dem Vorsprung der Kurz-ÖVP in allen Umfragen schon abgefunden und baue jetzt vor, für die Zeit danach. Vizekanzler Doskozil unter Kanzler Kurz, Schwarz-Rot wie in Berlin, wo Martin Schulz im TV-Duell mit Merkel ja fast darum gebettelt hat – warum nicht? Es ist eine der beliebtesten Varianten in allen Spekulationen, weil gar so österreichisch.
Schulzens Akt der Verzweiflung
Kern hat in Graz alle Besserwisser und Schlechtredner wissen lassen: Wer immer glaubt, dieser Wahlkampf ist bereits verloren, irrt. Der fängt erst richtig an. Wenn er sich nur nicht selber irrt. Natürlich hat Kern jetzt viele wichtige Medienauftritte vor sich, in denen er gute Figur machen kann. Die konservative Welt hat nach dem Fernsehduell Merkel-Schulz zu bedenken gegeben: Es war von Anfang an ein Akt der Verzweiflung, sich vorzumachen, den Willen der Wähler durch einen Fernseh-Großauftritt verändern zu können. Die Sozialdemokraten haben nicht wahrhaben wollen, dass die Mitte in Deutschland konservativer geworden ist, ihr die Fragen der Sicherheit jedenfalls drängender erscheinen als die von sozialen Missständen. Das hat was.
Da wie dort ist nichts entschieden. Die SPÖ hat noch fünf Wochen Zeit zu kämpfen. Aber Beten würde wohl auch nicht schaden. Besser still als in Schulzens Kapelle.