Die Ortsunkundigen
Da muss Sebastian Kurz jetzt durch. Bis zuletzt bemüht, der SPÖ den Schwarzen Peter für Schwarz-Blau umzuhängen, hat er in seiner Erklärung zu den Regierungsverhandlungen mit der FPÖ gesagt: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es bei der SPÖ zwar ein Interesse an einer potenziellen rot-blauen Regierungszusammenarbeit gäbe, dass es aber relativ wenig Interesse an einer türkis-roten Zusammenarbeit gibt. Und ich habe bei Christian Kern auch nicht den Eindruck gewonnen, dass er Interesse hat, in solch einer Bundesregierung Vizekanzler zu sein. Bei Türkis-Rot hat Kurz nachdenken müssen. Schwarz-Rot hat er gemeint. Das Framing ist ein Hund. Aber die Blauen sind auch hier dabei.
FPÖ-Mastermind Herbert Kickl nennt den künftigen Koalitionspartner nicht ÖVP, sondern neue Volkspartei. Parteiobmann Heinz-Christian Strache sagt ÖVP, bessert sich aber gleich in neue Volkspartei aus. Kurioserweise haben an diesem Framing beide Seiten ein Interesse. Strache und Kickl wollen nicht mit einer Altpartei in eine Koalition, die sie über viele Jahre vor sich hergetrieben haben. Und Kurz möchte den Eindruck verwischen, er stünde einer Altpartei vor, die es schon gegeben hat, bevor er auf der Welt war. Es trifft natürlich beides zu. Und so professionell wie Schwarz und Blau das alles anlegen, wird es womöglich nicht mehr lange dauern, bis Schwarz-Blau zum sozialistischen Kampfbegriff erklärt und jeder, der ihn verwendet, der links-linken Jagdgesellschaft zugeschlagen wird. Alles türkis oder.
Hinweise, dass sie es ernst miteinander meinen
Das sind keine Petitessen, sondern Hinweise, dass es die beiden Parteien sehr ernst mit diesem Regierungsprojekt meinen. Sebastian Kurz und sein Vertrauter Gernot Blümel, der mit im Verhandlungsteam sitzt, werden nicht müde, von Verhandlungen auf Augenhöhe mit den Freiheitlichen zu reden. Herbert Kickl hat den Ball aufgenommen und Verhandlungen in einem Klima des Respekts, in einem Klima des gegenseitigen Vertrauens und vor allem auf Augenhöhe gefordert. Denn die Freiheitlichen haben unbestreitbar ein Problem, und das ist ihre Regierungsunerfahrenheit. Kickl hat es ganz offen so ausgedrückt: Die ÖVP wohnt schon einige Zeit in einer Gegend, in die wir jetzt hineinkommen. Wir sind noch nicht ganz ortskundig.
FPÖ muss Koalition ihren Stempel aufdrücken
Und die FPÖ hat vor allem auch traumatische Erinnerungen an die Ära Schüssel, als der schwarze Wendekanzler die Blauen nach Knittelfeld so richtig vorgeführt und bei der Wahl 2002 zur Implosion gebracht hat. So etwas wollen die Freiheitlichen nicht noch einmal erleben, und das heißt: Sie müssen der neuen schwarz-blauen Koalition ihren Stempel aufdrücken. Die fast schon gebetsmühlenartig vorgetragene Forderung nach dem Innenministerium für die FPÖ ist denn auch keine taktische Finte, sondern damit ist es Strache und Kickl bitter ernst. Sie müssen für ihre Wählerklientel in diesem Bereich einen handfesten Erfolg erzielen und können sich nicht abspeisen lassen.
Alexander van der Bellen muss da jetzt durch
Die kolportierte Sorge des Bundespräsidenten in Ehren, dass in einem blau geführten Innenressort mit sensiblen Daten geschludert werden könnte: Aber sollte das der Fall sein, dann gibt es die Ministerverantwortlichkeit und das Parlament wäre am Zug. Sieht das jemand nicht so, dann muss er auch die Frage stellen, ob das Justizressort, das Verteidigungsressort oder das Finanzressort den Freiheitlichen überlassen werden kann. Auch Alexander van der Bellen muss da jetzt durch. Und man kann wohl auch davon ausgehen, wie es ein einflussreicher hoher FPÖ-Politiker ausgedrückt hat, dass personelle Angebote für die Besetzung der Regierungsämter mit Bedachtnahme auf die Konsensfähigkeit dieser Leute gemacht würden. Sprich: professionell.
Ein Burschenschafter-Rekord als Morgengabe
Wobei dann jeder der Akteure für sich bewerten muss, ob etwa die Mitgliedschaft zur Burschenschaft Olympia, die vom Dokumentationsarchiv als rechtsextrem eingestuft und charakterisiert wird, diese Konsensfähigkeit beeinträchtigt. Bei Strache ist das ein blinder Fleck, weil ihn die Burschenschafter in der Partei groß gemacht haben und tragen. Und auch immer mehr Raum bekommen: 21 der 51 FPÖ-Abgeordneten im neu gewählten Nationalrat sind Burschenschafter, das sind 40 Prozent der gesamten Fraktion. Ein neuer Rekord. Unter ihnen ist auch ein Ortskundiger: der frühere Dritte Nationalratspräsident und Olympier Martin Graf, der 2013 nach Vorwürfen wegen seiner Tätigkeit als Vorstand einer Stiftung nicht mehr für den Nationalrat kandidiert hatte. Verfahren dazu wegen Untreue und Betrugs sind später eingestellt worden.
Werden die blauen Kanäle jetzt leiser funken?
Grafs Comeback ist auch ein Stärkezeichen der Burschenschafter. Er ist übrigens der Begründer der Internet-Plattform unzensuriert.at, die als Online-Kampfmedium für die Freiheitlichen daherkommt und deren Artikel auch regelmäßig von Heinz-Christian Strache auf seiner reichweitenstarken Facebook-Seite weiterverbreitet werden. Welche Tonalität die FPÖ als Regierungspartei auf all ihren Parteikanälen einschlagen wird, die über weite Strecken vom Krawall leben, wird auch spannend zu beobachten sein.
Volksentscheide zum Dampf-Ablassen
Wo Strache und Kurz gleichermaßen ortsunkundig sind, das ist der von beiden für gut befundene Ausbau der direkten Demokratie. Sie wollen in regelmäßigen Abständen Gesetze dem Volk zur Abstimmung vorlegen, Kurz hat in seinem Wahlprogramm auf Seite 38 eine Art Schweiz light vorgeschlagen, einen Testlauf in Richtung einer mehr plebiszitären Demokratie. Das ist nicht nur deshalb im Sinn der Freiheitlichen, weil sie das schon lange fordern und im Wahlkampf als Bedingung formuliert haben – es kommt ihnen auch machttechnisch gelegen. Man kann auf diese Weise immer wieder einmal Abstimmungen ansetzen, bei denen die Bevölkerung Dampf ablassen darf. Und sich gleichzeitig als Regierung der eigenen politischen Verantwortung entziehen.
Wie weit wird der plebiszitäre Umbau gehen?
Wie weit Schwarz-Blau in diesem Punkt geht, wird eine der Kernfragen der nächsten Regierung sein. Wenn die NEOS mittun, dann wird es wohl auch fix sogenannte Volks-Initiativen nach Schweizer Vorbild geben: Volksbegehren, die ab Unterstützung von 250.000 Wahlberechtigten verpflichtend zu einer Volksabstimmung führen. Das war der Vorschlag der Opposition, nachdem SPÖ und ÖVP sich 2013 nicht geeinigt (und das Vorhaben 2015 endgültig begraben hatten). Aus dem Regierungslager hatte damals nur Sebastian Kurz den Vorschlag der Opposition unterstützt. Und Kurz sparte dabei auch nicht mit Kritik: Es ist peinlich, wenn alle sechs Parteien im Parlament für mehr direkte Demokratie sind und sich nicht einigen können. Das versteht kein Mensch. Das sei der ultimative Beweis, dass die Politik in einem hilflosen Zustand ist. So Kurz 2013.
Am Ende trotzdem Schwarzer Peter für Rote
Das Stichwort hilfloser Zustand führt zurück zum Spiel um den Schwarzen Peter, der so oder so den Roten geblieben ist. Nach exakt einer Woche des Lavierens hat die SPÖ ihre Oppositionsansage also doch gemacht. Eine Woche lang war man offen für Rot-Blau, weil man den Wertekompass ja nicht umsonst geschrieben haben will. Eine Woche lang hielt der durch die Nationalratswahl wundersam gestärkte Michael Häupl dagegen. Eine Woche lang waren die Gewerkschafter offen für Schwarz-Rot, weil sie die Zerschlagung ihres Kammern- und Kassen-Imperiums fürchten. Doch da wäre ihnen Kern im Weg gestanden. Und der SPÖ-Chef selber schloss am Ende nicht einmal mehr die Unterstützung einer ÖVP-geführten Minderheitsregierung aus.
Schwach wie nie in der Oppositionsrolle
Kurz hat ihm kalt lächelnd einen Korb gegeben. Die SPÖ wollte sich als Bollwerk gegen eine FPÖ-Regierungsbeteiligung inszenieren und ist letztlich von Schwarz & Blau als regierungsunfähig gebrandmarkt worden und übriggeblieben. Ortsunkundig irgendwie auch, aber niemand nimmt sie bei der Hand. Die SPÖ macht wieder Opposition, aber schwach und ohne Sperrminorität bei Verfassungsgesetzen. Die ärgsten Befürchtungen der machtversessenen Partei sind eingetreten. Aber da muss Christian Kern jetzt durch.