Türkisen-Belagerung
Wahlabend. Im Zelt vor der SPÖ-Zentrale Auftritt von Barbara Novak, Wiener Landesparteisekretärin. Auf dem großen Screen sind kurz vorher die Balken hochgefahren und für die SPÖ bei 22 Prozent stehengeblieben. Totenstille für einen kurzen Moment, bis der Jubel über die 16 Prozent der FPÖ die Peinlichkeit zudeckt. Und dann erklärt die Parteisekretärin auf der Bühne, warum für die SPÖ eigentlich eh alles gut ist: Eigene Leute hätten ihr gebeichtet, die Grünen gewählt zu haben, so Novak. Sie hätten ihr aber gleichzeitig versichert, nächstes Jahr bei der Gemeinderatswahl wieder SPÖ zu wählen. Das rote Drama in a nutshell.
Die SPÖ Wien, immer noch mächtigste Landesorganisation, hat am Sonntag nur rund 27 Prozent zum Wahlergebnis von letztlich 21,2 Prozent der Bundes-SPÖ beigetragen. Das ist ein Minus von mehr als sieben Prozentpunkten gegenüber der Nationalratswahl 2017 – deutlich höher als das fast aller Landesorganisationen, die freilich schon auf tiefem Niveau waren. Man tröstet sich ernsthaft damit, dass die SPÖ in den anderen großen Städten noch mehr verloren hat als in Wien – fast neun Prozentpunkte in Linz, mehr als elf Prozentpunkte in Graz. Man tröstet sich also mit einem Desaster im eigenen Haus und mit einem selbstbetrügerischen Blick in die Zukunft.
Eine Erzählung aus der roten Mottenkiste
Für die Wien-Wahl 2020, so hört man aus der Partei, habe man nämlich das, was der SPÖ bei dieser Nationalratswahl gefehlt habe – eine Erzählung. Wie die Comback-Story von Sebastian Kurz oder auch jene der Grünen. Oder die Klimaschutz-Bewegung mit Greta Thunberg, die den Grünen in die Hände gespielt habe. Die Erzählung der Wiener SPÖ soll der Kampf um Wien sein, wieder einmal. Dass die FPÖ, die bisher in diesem Setting immer die Rivalin war, leicht indisponiert ist, das spielt keine Rolle. Das Rote Wien werde von allen Seiten bedroht, und das werde man erzählen, heißt es. Sprich: die Wiener SPÖ ruft den Abwehrkampf gegen die Türkisen aus, die ja schon begonnen haben, die Stadt vom Süden her aufzurollen. Liesing, das neue 1683. Gernot Blümel, der neue Kara Mustafa.
SPÖ muss sich als Gesamtpartei neu aufstellen: inhaltlich, organisatorisch und personell. Habe nach heutiger Sitzung das Gefühl, dass wir das noch öfter fordern müssen bis wir das umsetzen. Haben Sitzung vorzeitig verlassen, weil sinnlose Diskussion. Arbeiten weiter dran!
— Julia Herr (@frauherr) September 30, 2019
Noch einmal Nachtreten gegen Kern
Ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, so hat Kurzzeit-Kanzler Christian Kern einmal formuliert, als es für kurze Zeit schien, als könnte wirklich wieder alles gut werden für die SPÖ. Am Ende war Kern dann ein irrlichternder Parteichef, der zwei Wochen vor dem Parteitag alles hingeschmissen und Pamela Rendi-Wagner ins kalte Wasser gestoßen hat. Damals wusste niemand, dass ein halbes Jahr später die Ibiza-Bombe platzen und die SPÖ auf dem völlig falschen Fuß erwischt werden würde. Gerhard Zeiler, damals von Kern im Match um die SPÖ-Führung ausgebootet, hat am Wahlabend nachgetreten. Zeiler beim Runden Tisch im ORF: Da weiß man auch nicht, wer mehr Schaden angerichtet hat: der Herr Strache für die FPÖ oder der Christian Kern für die SPÖ.
Zeiler warnt Rendi-Wagner vor der Kandare
Viel Lob hatte der Medienmanager für SPÖ-Chefin Rendi-Wagner, die ihr Bestes gegeben habe. Dann kam Zeiler auf den Punkt: Jetzt muss sie sich freispielen. Jetzt muss sie zeigen, dass sie wirklich die Parteivorsitzende ist. Denn eines darf sie nicht möglich machen, dass nämlich dasselbe passiert wie es in der ÖVP zwanzig Jahre lang war, dass nämlich die Landesparteivorsitzenden sagen, mir ist es doch egal, wer unter mir Bundesparteivorsitzende ist. Jetzt muss sie zeigen, dass sie wirklich die Bundesparteivorsitzende ist. Und was tut die SPÖ-Chefin? Sie macht nach dem Rücktritt ihres Vertrauten Thomas Drozda, der innerparteilich umstritten und nach der Wahlschlappe endgültig fällig war, den für den misslungenen Wahlkampf nicht weniger verantwortlichen Christian Deutsch zum neuen Bundesgeschäftsführer.
Das kann ja wohl nicht wahr sein. pic.twitter.com/WM2SXLM7UC
— Sektion 8 (@SektionAcht) September 30, 2019
Der lange Arm der Wiener SPÖ
Deutsch ist der Verbindungsmann zu jener Wiener SPÖ, die ihre Zukunftskompetenz mit der durchaus originellen Analyse des Wahlergebnisses – in Wien wern’s die Grünen dann eh nimmer so hoch g’winnen – bewiesen hat. Christian Deutsch soll die Partei jetzt aber wirklich öffnen und modernisieren, aus manchen Reaktionen auf diese Entscheidung spricht das blanke Entsetzen. Auch der Kärntner Landeshauptmann und Landesparteichef Peter Kaiser hat am Abend auf ORF2 sehr auffallend betont, dass das eine Entscheidung von Rendi-Wagner gewesen sei, die man einhellig zur Kenntnis genommen habe. Die Vorsitzende trage auch die Verantwortung für den Schritt. Also keine große Begeisterung, Kaiser hatte die SPÖ zuvor als die strukturkonservativste Partei in Österreich bezeichnet, eine andere Sprache und neue Köpfe eingefordert.
Junger Protest & Friendly Fire from the West
Zu den neuen Köpfen: die Jungen fordern ihre Rechte und ihren Platz in der Partei ein, die Gremien haben sie am Montag freilich vorzeitig verlassen, wegen Aussichtslosigkeit. Nach dem vorläufigen Endergebnis zwölf Mandate weniger im Nationalrat, 40 statt 52. Das geht alles auf Kosten des Nachwuchses. Und der zurückgetretene Bundesgeschäftsführer sagt auf die Frage, ob er auch auf sein Mandat verzichten werde: Selbstverständlich werde ich mein Mandat annehmen. So selbstverständlich wie ausgerechnet der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer, der knapp hinter den Wiener Genossen das schlechteste Ergebnis bei der Nationalratswahl eingefahren hat (minus acht Prozentpunkte), in der Öffentlichkeit den Ton angibt. Jener Dornauer, den Pamela Rendi-Wagner wegen einer sexistischen Äußerung von den Parteigremien ausgeschlossen hatte.
Und der jetzt in seiner ganz persönlichen Wahlanalyse gesagt hat: Der klassische FPÖ-Stammwähler wählt offensichtlich halt keine Frau mit Doppelnamen, es tut mir leid. Dass der Mann aus dem Sellrain sich bei der Erneuerung der Bundespartei auch selber einbringen will, ist dann fast ein weiterer Grund zum Fürchten. Neben der Türkisen-Belagerung auch noch Friendly Fire im roten Abwehrkampf.
2 Gedanken zu „Türkisen-Belagerung“
Sellrain, mit Verlaub, nicht Stubai… Tiroler sind da oft ein bissl dings, gell…
wenn man sich die SPÖ Bezirksergebnisse in Graz ansieht, weis man was auf die SPÖ bei den kommenden Landtagswahlen in der Steiermark zukommt: die vollständige Vernichtung. Vielleicht hilft ja das zur Besinnung