Situation Boom
Fast schon vergessen das ans Grüne Eingemachte gehende Geplänkel um die sogenannte Sicherungshaft, also Einsperren ohne Verbrechen. Und völlig an den Rand gedrängt auch der Angriff des Kanzlers und ÖVP-Chefs gegen angebliche rote Netzwerke in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, die in der Casinos-Affäre gegen ÖVP-Leute ermittelt, aber nicht weniger entschlossen auch gegen ehemalige SPÖ-Granden wie den Gewerkschafter Wilhelm Haberzettl. Jetzt ist die schwarz-grüne Regierung im Krisenmodus. Der funktioniert. Der Boom im Situation-Room sagt aber auch viel darüber aus, wie die Koalition funktioniert.
Es ist nachvollziehbar, dass viele Politiker Angst vor hässlichen Bildern bei der Grenzsicherung haben. Es kann aber nicht sein, dass wir diesen Job an die Türkei übertragen, weil wir uns die Hände nicht schmutzig machen wollen. Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen. Das hat Sebastian Kurz im Jänner 2016 als Außenminister gesagt, im Februar begründete er mit einer Westbalkankonferenz in Wien den Mythos um sich und die Balkanroutenschließung, im März folgte dann der Deal der EU mit der Türkei. Der hat dann die Lage entspannt, freilich nie auf den griechischen Inseln. Den Job hat also großteils doch die Türkei erledigt. Gut 3,5 Millionen Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen, hunderttausende Kinder ins Bildungssystem integriert. EU-Milliarden helfen dabei.
Am Ende hat der Hegemon und Kriegsherr Recep Tayyip Erdogan jetzt doch noch für die hässlichen Bilder sorgen lassen. Mit staatlicher Propaganda hat er Tausende Flüchtlinge und Migranten an die türkisch-griechische Grenze gelockt. Den Rest erledigten für ihn die griechische Polizei und die Armee sowie die EU-Truppe Frontex mit österreichischer Beteiligung. Bilder von wütenden Menschen, die von der Politik an der Nase herumgeführt und dafür dann auch noch von Wasserwerfern und mit Tränengas- und Nebelgranaten beschossen werden, gingen um die Welt. Die bemerkenswerte Reaktion von Sebastian Kurz darauf: Unser Ziel muss es sein, die EU-Außengrenzen ordentlich zu schützen, illegale Migranten dort zu stoppen und nicht weiterzuwinken.
Kanzler scheut die hässlichen Bilder nicht
Auf Facebook verlinkte der Kanzler dazu – noch bemerkenswerter – einen Artikel der Kronenzeitung mit eben einem dieser hässlichen Bilder, ohne die es nicht gehen wird. Es war genau genommen eine manipulative Fotomontage, mit der die Krone den Kurz-Artikel illustriert hat. Aber dem Kanzler scheint das nichts ausgemacht zu haben. Seine Botschaft: kein Durchwinken wie 2015, notfalls machen wir unsere nationalen Grenzen dicht: (…) wird Österreich seine eigenen Grenzen schützen. Und Innenminister Karl Nehammer assistiert seinem Parteiobmann, der den früheren ÖVP-Generalsekretär für treue Dienste in der Spenden- und Schredderaffäre mit dem Ministeramt belohnt hat.
Kickl spricht aus, was Nehammer andeutet
Nehammer spricht gar von einem dreifachen Sicherheitsnetz gegen das Durchwinken: mehr Polizisten für Frontex, die neuerliche Schließung der Balkanroute – und: Wer zu uns kommt und versucht, unsere Grenze mit Gewalt zu durchbrechen, ist anzuhalten. Wie genau, sagt der Innenminister nicht. Sein Vorgänger in der schwarz-blauen Koalition, der freiheitliche Klubobmann Herbert Kickl, ist da weniger zurückhaltend: Das heißt, dass man gegebenenfalls einen Warnschuss abgeben muss, dass es Wasserwerfer gibt, dass es Gummimunition geben muss, die einen solchen Ansturm zurückhalten. (…) Wir brauchen nicht nur Grenzkontrollen, sondern Grenzsicherungsmaßnahmen. (…) Wir sind aber in der glücklichen Lage, dass die Griechen eine der stärksten Armeen haben. Ich kann mir vorstellen, dass wir auf freiwilliger Basis auch österreichische Soldaten schicken.
Grüne positionieren sich einmal anders
Der Unterschied zu Schwarz-Grün: hier deutet die ÖVP nur noch an und wird nicht mehr so deutlich wie Kickl, dem man in der gemeinsamen Regierung auch sprachlich durchaus noch gefolgt ist. Die jetzige ÖVP-Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler hat damals auch brav von Ausreisezentren gesprochen, in die Kickl die Asyl-Erstaufnahmestellen umbenannt hatte. Und noch ein Unterschied: die Grünen positionieren sich in dieser Frage von Asyl- und Menschenrechten selbstständig. Klubobfrau Sigrid Maurer etwa im Tweet oben und der Nationalratsabgeordnete Michel Reimon hier. Der Grüne Bundessprecher und Vizekanzler Werner Kogler hat sich zudem dafür ausgesprochen, Kranke und Kinder mit Begleitpersonen aus dem Lagerelend auf den griechischen Inseln herauszuholen, wenn die Situation dort nicht rasch verbessert wird.
Die Sichtbarkeit und ihre Verhinderung
Eine klare Positionierung des Grünen-Chefs im Sinne einer Sichtbarmachung, wie das die Expertin für visuelle politische Kommunikation, Petra Bernhardt, in einer Analyse im Falter-Think-Tank nennt. Sie schreibt: Sichtbarkeit ist in der Politik ein wichtiger Faktor. Sie ist nicht gegeben, sondern wird – unter den Bedingungen bestehender Machtverhältnisse – hergestellt. Gerade in Krisensituationen versuchen Politiker immer wieder, sich als Krisenmanager und Macher zu inszenieren. Die Botschaft: Wir haben die Lage im Griff! Dieser Eindruck soll unter anderem durch den gezielten Einsatz von Bildern entstehen, die Politiker und ihre Teams über Social Media in Umlauf bringen. Bernhardt spielt hier vor allem auf die Bilder an, die die Kurz-ÖVP von den Lagebesprechungen im Krisenstab zum Corona-Virus verbreitet hat. Eine Kopie des Situation Room, das Motto: Sebastian first!
Die ruhige Hand des grünen Ministers
Anders als die Erzählung vom – eins, zwei, drei – Dichtmachen der Grenzen zählt die Virus-Bekämpfung nicht zum Markenkern der ÖVP und auch nicht zur Kernkompetenz des ÖVP-Obmanns, da hat ihm sogar die SPÖ-Vorsitzende als Ärztin mit Fachgebiet Impfprävention und Tropenmedizin viel voraus. Pamela Rendi-Wagners jüngster Auftritt im ORF-Talk Im Zentrum hat gezeigt, wo ihre eigentliche Stärke liegt. Ob ihr das bei der Mitgliederbefragung hilft, wo es um politische Führung geht, ist eine andere Frage. Die Führung in Sachen Virus-Krisenmanagement hatte jedenfalls von Anfang an einer für alle sichtbar in ruhiger und besonnener Hand: Gesundheitsminister Rudolf Anschober von den Grünen. Was für die ÖVP-Kommunikationsstrategen einen Reflex auslöste: Unsichtbar machen!
Die Inszenierung der Virus-Controller
Der Kanzler wurde nicht nur auf den Bildern als oberster Krisenmanager in Virus-Fragen inszeniert, er war auch bei Pressestatements zur Lage dabei und gab serienweise Interviews. Der Innenminister wich überhaupt nie von Anschobers Seite, was auch einen positiven Effekt hatte: Die Regierung signalisierte Zusammenstehen in schwierigen Phasen, damit kann sie bei der Bevölkerung punkten, die in Phasen der Verunsicherung nicht auch noch Parteienstreit ertragen will. Für die Grünen als Regierungspartei macht es das nicht leichter. Sie sind mit eingespielten Kommunikationsroutinen konfrontiert, denen sie sich mangels Erfahrung in der Regierung (und vermutlich auch Ressourcen) schwer entziehen können, so die Politologin Petra Bernhardt. Sie erinnert auch an die Bilder von der Fahrt zur Regierungsklausur, die man von schwarz-blauen Inszenierungen kannte.
Im Schatten der Marketing-Maschinerie
Mit Alma Zadic, die im Sturmlauf der ÖVP gegen die Korruptionsermittler Standfestigkeit bewiesen hat, und mit dem krisenfesten Rudolf Anschober haben die Grünen jetzt schon zwei heimliche Stars in ihrem kleinen Regierungsteam. Plus einen Vizekanzler, der sich anschickt, der ÖVP in ihrem Markenkern lästig zu werden. Das ist bedeutend mehr als man den Grünen in den Wochen nach dem Anlaufen der Marketing-Maschinerie des übermächtigen Koalitionspartners zugetraut hätte. Aber sichtbar im oben beschriebenen Sinn sind sie immer noch nicht. Auch selbstverschuldet. Wenn es der Justizministerin etwa gelingt, die zu Recht kritisierte Übertragung der Rechtsberatung für Asylwerber an die neue staatliche Betreuungsagentur zu entschärfen, dann reicht es nicht, das in langen Threads auf Twitter hier zu erklären. Da muss man auch einmal in den Situation Room.
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