Das Gurgelat
Der Dekan des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaft der Universität Wien, Michael Wagner, hat der Welt ein schönes neues Wort geschenkt: das Gurgelat. Was der Vater der Gurgelmethode zum Nachweis von Corona-Viren damit meint, ist das, was von der Gurgelflüssigkeit gut vermischt mit Speichel und allfälligen Mikroorganismen nicht verschluckt wird, also übrig bleibt. Es wird dann in ein Röhrchen oder Becherchen gespuckt und gut verschlossen. Der Molekularbiologe wird nicht wissen, dass er mit Gurgelat eine treffende Formulierung für das geliefert hat, was so manchen Politikermund verlässt und nicht in ein Sackerl geredet worden ist, wie das auf gut Wienerisch heißt.
Nehmen wir Norbert Hofer. Der Obmann des Scherbenhaufens einer Partei war gestern Abend zu Gast im Sommergespräch des ORF-Fernsehens. Dass der jetzige FPÖ-Chef Hofer gurgeln kann, das hat er schon 2016 als Präsidentschaftskandidat bewiesen, als er sich in einem never ending Wahlkampf gegen Alexander Van der Bellen unter anderem in einem legendären unmoderierten ATV-Duell als kalt lächelnder Kampf-Rhetoriker in seine spätere Niederlage hineintheatert hat. Hofer will ja nicht noch einmal gegen Van der Bellen antreten, jetzt hofft er auf den Corona-Minister Rudolf Anschober als Hofburg-Kandidaten. Dem würde er schon gern zeigen, was eine richtige Verschwörungstheorie ist.
Impfgegner und Asylantenvirus-Entdecker
Denn da kennt sich der FPÖ-Chef aus. Impfgegner aller Länder vereinigt euch: Ich bin auch nicht gegen Grippe geimpft oder gegen alle anderen möglichen oder unmöglichen Krankheiten. Unter dem Deckmantel des freien Denkens wird Widerstand gegen eine imaginäre Impfpflicht aufgebaut, die weder von der Regierungsseite gewollt ist, noch ernsthaft durchsetzbar wäre. Aber es herrscht Wahlkampf in Wien, der FPÖ steht ein brutaler Absturz bevor. Und Norbert Hofers Botschaft ist: Jeder sei für sein Wahlergebnis selber verantwortlich, also der Landesparteichef Dominik Nepp. Und: die Wahl im Herbst sei gar nicht so wichtig, die FPÖ denke schon an die übernächste Wahl. Deshalb sei er auch so ruhig, der Nepp, der ohne Schnappatmung in aller Ruhe die Menschen in Wien aufklärt. Sagt Hofer über den Mann, der als Entdecker des Asylantenvirus gelten darf.
Strache, der Entsatz und das blaue Entsetzen
Ich bin sehr zuversichtlich, was die Zukunft anbelangt. Das hat Hofer im Fernsehen auch noch gesagt. Zeitgleich ist die Bezirkswahlbehörde Wien-Landstraße zu dem Schluss gekommen, dass der Hauptdarsteller aus dem Korruptionsvideo von Ibiza den Melde-Vorschriften der Bundeshauptstadt Genüge getan hat. Heinz-Christian Strache kann Frau und Kind, die hinter dem Kahlenberg knapp außerhalb von Wien wohnen, nämlich nur am Wochenende sehen. Unter der Woche hauptwohnsitzt er in der Metropole, immer zum Entsatz bereit – obwohl weiland der Polenkönig Sobieski schon gezeigt hat, dass das von Klosterneuburg aus über den Kahlenberg auch gut machbar wäre. Wie auch immer: dem amtierenden Bürgermeister Michael Ludwig und seiner allumfassenden Wiener SPÖ kann die Entscheidung der Bezirkswahlbehörde mit sechs Ja- gegen drei FPÖ-Nein-Stimmen nur recht sein. Das rechte Lager entsetzt sich selbst, statt zu entsatzen.
Wenn mit Corona-Tests vom Bund Wiener Wahlkampf betrieben wird… #Ludwig2020 pic.twitter.com/oyG1zMAJyk
— Maida Dedagić (@diemaida) August 16, 2020
Auf dem Weg zum Heurigen einmal Gurgeln
Und Ludwig baut mit seinem Mann fürs Grobe, Peter Hacker, beim Ernst-Happel-Stadion eine Gurgel-Station für Heimkehrer aus dem Kroatien-Urlaub auf. Die ist von der Sache her gewiss vorbildlich, aber für eine gut geführte Zwei-Millionen-Stadt auch nicht gerade die Mondlandung, als die sie propagandistisch verkauft wird. Und weil das Ganze so gut angekommen ist, hat Hacker gleich einmal angekündigt, dass das Drive-in quasi zu einer Dauereinrichtung werden wird. Der Wiener staut dann auf dem Weg zum Heurigen kurz durch den Prater und gibt beim Stadion bequem im Auto sitzend sein Gurgelat ab.
Der Schattenwahlkämpfer und sein Markenkern
Was dem Waldviertler Schattenwahlkämpfer in Wien, Sebastian Kurz, sehr gelegen kommt. Der ÖVP-Obmann und Bundeskanzler hat es vorausgesehen: Das Virus kommt mit dem Auto. Gesagt hat Kurz das an einem Sonntag, schnell ein paar Medien einladend und andere vergessend, jedenfalls aber gewahr werdend, dass er nach dem Desaster vom Wolfgangsee die Message Control über seinen neuen Markenkern namens Pandemie und wer bekämpft sie am besten wiedererlangen kann.
Der erste sommerliche Corona-Gipfel im Kanzleramt ist schon medienwirksam terminisiert. Marketing wohin man schaut, aber dort, wo es um die Zukunft unserer Kinder geht: viel zu viele Fragen offen. Der Bildungsminister droht im Gurgelat der Regierungskollegen zu versinken – und kein Sackerl in Sicht. Von Lösungen für so wichtige ungelöste Fragen, wie sie Melisa Erkurt in ihrem neuen Buch über Bildungschancen beschreibt, gar nicht zu reden.
Der Winter kommt und Platter schweigt
Bleibt uns noch Tirols Landeshauptmann Günther Platter. Der hat in einem Sommer-Interview mit der Austria Presse Agentur die kommende Wintersaison thematisiert. Es brauche bundesweite Regeln für Après-Ski, für Bars und Diskotheken, wie man damit umgehen soll, sagt Platter und nimmt den Gesundheitsminister in die Pflicht. Bevor wir in Tirol wieder alles richtig machen, lassen wir lieber den Bund etwas falsch machen, mag der Landeschef sich gedacht haben. Eigene Vorstellungen bekommt man auf Anfrage im Tiroler Landhaus nicht zu hören, eine mutige Wende – endlich! – in der Tourismuspolitik geht im Gurgelat unter. Vielleicht sitzt Platter ja das Ergebnis der unabhängigen Ischgl-Untersuchungskommission schon vorauseilend in den Knochen.
Der Bericht der Kommission unter Vorsitz von Ronald Rohrer soll bis zum Oktober vorliegen – vor der Wiener Wahl am 11. und rechtzeitig zum Weltcup-Opening in Sölden am 17. und 18. Zu der Ötztaler Gemeinde gehört übrigens auch die Ortschaft Gurgl – und ja, stimmt: Man muss auch mit Bergdörfern keine Namenswitze machen.