Was Macht kostet
Wenn wir nicht mitspielen, sind wir naiv, wenn wir mitspielen, sind wir korrupt. Die Grüne Mediensprecherin Eva Blimlinger hat es im Ö1-Medienmagazin #doublecheck kurz nach der Wahl von Roland Weißmann zum ORF-Generaldirektor im vergangenen August auf den Punkt gebracht. Sehr pointiert natürlich, weil wer will schon naiv oder gar korrupt sein. Denn die Grünen haben den ÖVP-Kandidaten für die ORF-Spitze mitgewählt, es war ein mit absoluter Mehrheit durchgezogener Farbenwechsel mit Greenwashing. Wir wissen heute: Die Grünen hatten sich längst fürs Mitspielen via Sideletter entschieden. Zwei Direktorinnen und ein Stiftungsratsvorsitzender als Beute. Willkommen im Klub.
Der grüne Chef-Pragmatiker Johannes Rauch in Vorarlberg hat einen sehr klugen Text zu der ganzen Sache geschrieben, der manche Hintergründe deutlich besser zu erklären versucht, als das dem Bundessprecher und Vizekanzler gelungen ist. Werner Kogler hat die geheime Nebenabsprache zum möglichen Kopftuchverbot für Lehrerinnen ernsthaft so verteidigt: Wir haben lange darüber geredet, wir haben das erfolgreich wegverhandelt, und zur Psychologie der ÖVP ist dann dieser Satz stehen geblieben, aber er hat keine reale Bedeutung, ist de facto ein Nullum. Kogler hat den Grünen Bundeskongress beschissen, das kommt bei der Basis gar nicht gut an und produziert solche Rechtfertigungs-Nullen.
Vorarlberger Dialektik reicht nicht aus
Rauch macht sich auf seinem Blog die Blimlinger’sche Dialektik zu eigen und fragt: Böse oder naiv? Um Sideletters oder Nebenabreden in der Politik als das Normalste auf der Welt hinzustellen und eine Veröffentlichung solcher Papiere klar abzulehnen: Denn sie sollen Vertrauen dort bilden, wo das Eis dünn ist. Vertrauen in heiklen Bereichen entsteht durch Vertraulichkeit. Das sind die zur Zeit ungeschriebenen Gesetze von Macht und Politik, ob man sie mag oder nicht. Anders wäre es dann, wenn es endlich ein Informationsfreiheitsgesetz und ein Transparenz- und Parteiengesetz gäbe, die alle auf der Höhe der Zeit wären.
Versprochen von Parteifreund Kogler im Juni 2020 für Ende 2020. Jetzt ist Februar 2022 und immer noch nichts in Sicht. Jetzt verspricht es Kogler wieder: Transparenz! Wir werden sehen. Mit Vorarlberger Dialektik kommt man aus der Nummer jedenfalls nicht heraus.
Sündenfall mit kollateralen Kuhhändeln
Und auch sonst nicht – zum Beispiel mit dem naheliegenden Hinweis darauf, dass es manchen in der Volkspartei darum gehe, vor dem ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss die Verantwortung der Kanzlerpartei zu vernebeln. Rauch formuliert es so: Daher folgt die Bubentruppe um Kurz der Devise des langjährigen Donald-Trump-Chefberaters Steve Bannon: “Flood the zone with shit!” Und er spricht von der beleidigten Kurz-Kamarilla und davon, dass sich die Medien von der gefälligst nicht blenden lassen sollen. Tun sie nicht, die Medien. Der Boulevard konstruiert Kuhhändel, wo vielleicht keine waren, aber damit müssen die Grünen leben. Und sie sollten auch genau schauen, welches Spiel der Koalitionspartner spielt.
Koalition fatal aneinander gebunden
Der designierte ÖVP-Obmann und Kanzler Karl Nehammer sagt in der Kronenzeitung über den Leak des schwarz-grünen Sideletters: Dieses Dokument trägt zwei Unterschriften, beide Unterzeichner haben das Recht, damit umzugehen, wie sie es für angemessen halten. Viel spannender ist freilich der Nachsatz des ÖVP-Chefs, er sei zeitnah über diesen Schritt, also die Veröffentlichung der geheimen Nebenabsprache, informiert worden. Bemerkenswert ist, dass Nehammer offenbar gar nicht versucht hat, diese feindliche Aktion zu verhindern, und den Koalitionspartner ins Messer rennen hat lassen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Sideletters hat es immer schon gegeben. Weitergehen, es gibt nichts zu sehen. Und jetzt plötzlich die Kehrtwende: Nehammer und Kogler wollen keine Sideletter mehr, der Grünen-Chef hat sich sogar entschuldigt. Das muss man anerkennen. Aber man muss ihnen nicht alles glauben.
Posten-Deals am Rande der Verfassung
Es gibt auch einen schwarz-grünen Sideletter in Vorarlberg, wo die brisanteste Vereinbarung etwas betrifft, was sich in Wien Sigrid Maurer und August Wöginger unkompliziert beim Kaffee in der Parlamentskantine ausmachen: Öffentliche Vorstöße in kontroversen Sachfragen (…) werden vorher zwischen den Regierungspartnern abgesprochen. Postenbesetzungen im laut Verfassung unabhängigen ORF per Nebenvereinbarung festschreiben, das ist eine völlig andere Kategorie. Und ob es der Rettung des ORF vor der Orbanisierung dient (wie der Grünen-Chef argumentiert) oder der Zerschlagung des ORF wie unter Kurz und Strache, das muss hier in den Hintergrund rücken. Man teilt sich Posten auf, weil man Einfluss haben will, als politische Parteien. Das ist der entscheidende Punkt.
Der schwarz-blaue Monster-Sideletter
Dass die FPÖ, die einen Korruptions-Untersuchungsausschuss hinter sich hat, und die ÖVP, die einen Korruptions-Untersuchungsausschuss vor sich hat, in ihrem Sideletter noch viel weiter gegangen sind, vermag fast nicht mehr zu überraschen. Besetzungslisten für Chefredakteure und Channelmanagerinnen mit Namen wurden ausgedealt und auch der damalige Generaldirektor Alexander Wrabetz hat dabei mitgemacht. Auch er wollte den ORF dadurch vor Orbanisierung und Zerschlagung retten, wie er heute sagt. Die Abschaffung der GIS-Gebühr war ebenfalls Teil der Nebenvereinbarung zwischen ÖVP und FPÖ, letzten Endes dann auch ein Nullum, wegen Ibiza. Wrabetz erzählt, dass er von der ÖVP bearbeitet worden sei, sich nicht länger gegen eine Budgetfinanzierung zu wehren, mit der der ORF endgültig ans Gängelband der Politik gekommen wäre – und er befürchtet habe, dass das überfallsartig gemacht werden könnte.
Vorgeschmack auf den U-Ausschuss
Das ist reinste Hinterzimmer-Politik, mit der demokratische Infrastruktur, wie sie der öffentlich-rechtliche Rundfunk darstellt, verschachert werden sollte. Wie kann man solche Graubereiche als Kompromiss für die Teilhabe an der Macht verteidigen? Dass die Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft WKStA mit dem schwarz-blauen Monster-Sideletter neue Argumente für die Ermittlungen gegen Sebastian Kurz wegen Falschaussage vor dem Ibiza-U-Ausschuss in die Hand bekommen hat, rundet das Bild nur ab. Die Enthüllungen der letzten Tage sind ein Vorgeschmack auf das, was da in den nächsten Monaten kommt. Und in der besten aller – nicht nur beider – Welten hätte die ÖVP verstanden, dass sie nicht nur dem Land, sondern vor allem sich selbst nichts Gutes tut, wenn sie so destruktiv agiert wie im Ibiza-U-Ausschuss – um sich nachher selbst zu bemitleiden. Jeder Mörder wird vor Gericht respektvoller behandelt als ein Zeuge im Untersuchungsausschuss, hat Kurz einmal gesagt.
Nehammers große Bewährungsprobe
Es wird die Bewährungsprobe des Karl Nehammer, der jetzt für die Volkspartei verantwortlich ist. Die zahlt bis 2024 Schmiergeld zurück, das in der Telekom-Affäre geflossen ist, hat Wahlkampfkosten schamlos überschritten und dafür Strafe gezahlt, wird in der Medienkorruptions-Affäre um manipulierte und mit Steuergeld bezahlte Umfragen und Studien von der WKStA als Partei als Beschuldigte geführt. Aber Nehammer hat gesagt: Die ÖVP hat kein Korruptionsproblem. Ein anderer zentraler Player der Republik hat seine Bewährungsprobe gerade verbockt. Der Wiener SPÖ-Vorsitzende Bürgermeister Michael Ludwig hat – rechtlich x-fach abgesichert und mit Einschüchterungsbriefen an mitunter 13-jährige Klimaschützerinnen bis hin zu deren mentalen Unterstützern in NGOs und Universitäts-Instituten vorbereitet – das Protestcamp gegen die Stadtautobahn vulgo Stadtstraße in der Donaustadt räumen lassen. Und 380 Bäume haben die Bagger gleich mitgenommen.
Das Klima-Drama in der Donaustadt
Es ist ein heißes Thema, Ludwig hat in der Frage wohl eine Mehrheit auf seiner Seite – und das nicht nur bei den betroffenen Anrainern jenseits der Donau. Die sind verständlicherweise wütend, dass sie seit Jahren Verkehrsbelastungen ertragen müssen und vertröstet werden. Auch deswegen, weil an Riesenprojekten wie dem Lobautunnel festgehalten wurde und man Alternativen im Sinne von Verkehrsvermeidung und massivem Ausbau des Öffentlichen Verkehrs nicht ernsthaft geprüft hat. Deshalb konnte es auch keine zielführenden Gespräche mit den jungen Leuten von #lobaubleibt geben, das waren Alibi-Termine der Ex-Umweltaktivistin Ulli Sima. In der Zwischenzeit wurden Briefe geschrieben und der richtige Zeitpunkt – vor den Semesterferien, bevor dann wieder mehr Aktivisten und Aktivistinnen auf der Baustelle sind – für den Aufmarsch von Polizei, Holzarbeitern und Baggern abgewartet.
Mitregiert und immer mitgefangen
Die Grünen haben in Wien zehn Jahre mitregiert, ihre langjährige Chefin war Planungsstadträtin und hat das Straßenprojekt mitgetragen. Wie die Wiener Grünen die Räumung des Camps jetzt für sich instrumentalisieren, erscheint vor diesem Hintergrund in einem sehr schiefen Licht. Man kann natürlich klüger werden. Die Voraussetzungen ändern sich, wenn Projekte – Stichwort Lobautunnel – gestoppt werden. Aber man muss es gut und offen argumentieren. Johannes Rauch in Vorarlberg hat da Maßstäbe gesetzt, auch wenn man ihm nicht in allen Punkten recht geben kann. Karl Nehammer sagt, er sei ein Lernender. Man wird ihn an den Taten messen, seine Worte sind alles andere als überzeugend.
Der Popstar der Pandemie mal anders
Und Michael Ludwig? Der Popstar der Pandemie und Kanzler der Herzen selbst für viele im nicht-linken Lager hat in einer zentralen Frage nichts gelernt, um nicht zu sagen versagt: Wie nehme ich die Jungen mit in der Klimakrise? Am Vortag einen Klimafahrplan der Klimamusterstadt der Klimafortschrittskoalition zu präsentieren und am nächsten Tag die Klimaschützer in Handschellen von der Baustelle zu schleifen, das geht sich nicht aus. Man bekommt dafür zwar Applaus von allen möglichen Seiten, weil man ja geltendes Recht durchgesetzt hat. Und man wird mit Blick auf Oberösterreich, wo die nächste SPÖ-Landespartei zerbröselt, wohl finden: Wir haben alles richtig gemacht.
Die SPÖ verhungert am Gängelband
Aber vertrauenswürdige Politik muss mehr sein als sture Machtpolitik – bei der die Bundes-SPÖ im Übrigen wie gelähmt zuschaut. Augen zu und durch, ist die Devise. Selten war das Gängelband des heimlichen SPÖ-Chefs Ludwig so deutlich zu erkennen. Und es ist auch klar, wer zuerst die Rechnung für seine Machtpolitik gegen die Jungen bezahlen wird: die Bundespartei mit Pamela Rendi-Wagner und ihrer ohnehin überalterten Wählerstruktur.